Gastbeitrag: "Ist Urin brennbar?" von Timm Völker.

Obwohl ich ihn Anfang des Jahres nach 50 Jahren aus dem Keller aufsteigen ließ und dazu John Carpenter intonierte, mussten erst die Engländer Sleaford Mods nach Leipzig kommen, um einen Grund zu haben, das Ping Pong verbalis brutalis zu starten, dass Rising Reissig und ich uns vorgenommen hatten. Aber so ist das: alles braucht seinen Grund. So auch das morgendliche Erheben aus der Schlafstätte: dem Sarg, dem Pappkarton, dem sozialen Schacht. Mögen die Spiele beginnen. 

Rising hat mit seinem Konzert/Urinerlebnis (zu finden direkt unter diesem Eintrag hier) vorgelegt. Ich werde Öl ins Feuer gießen und im Kreis darum tanzen. Ist Urin eigentlich brennbar? Das wäre ganz schön gefährlich. Kommen wir aber mal ganz konkret auf dass, was RR (Rising Reissig) zum Sleaford Mods Konzert von sich gibt: Erstmal stellt er es völlig richtig dar, dass er auf Befehl meiner Wenigkeit, gleich einem beschwerten Dämon, dort erschienen ist und es um den Beweis der Leipziger Coolness ging. Spannend wird es aber, als er beginnt den Bühnenaufbau zu beschreiben, der bei dieser Band sehr reduziert ist und relativ schnell feststellt, dass dort exakt drei Bierkästen übereinandergestapelt sind. Er nennt die Marke, er sagt, dass bei einem anderen Konzert, von dem er scheinbar ein Video gesehen hat, ebenfalls drei Bierkästen zu sehen waren, auch dort nennt er die Marke. Warum ist das spannend? Weil ich mich in einem anderen Beitrag über dieses Konzert ebenso in visuellen Details dieses Bühnenaufbaus erging inklusive Markennennung aller möglichen au der Bühne auftauchenden Produkte. 

Zeigen uns Sleaford Mods durch ihre auf irgendeine Art verunsichernde Bühnenspartanik, wie sehr wir durch Werbung und Schriftzüge visuell vom Kapitalismus konditioniert wurden und in Situationen der Leere mit dem beruhigenden Aufsuchen uns bekannter Symbole beginnen? Diese Frage stelle ich hier mal ganz konkret und hoffe sie von Rising beantwortet zu bekommen.
Doch warum ruiniert sich ein urinierender Mann sein erkämpftes Standing, indem er einen Aufkleber über einem Urinal abknaupelt? Auch hier wieder eine interessante Parallele: ich war auch auf dieser Toilette, vor dem Konzertbeginn. Und ärgerte mich mal wieder, keine eigenen Aufkleber mitzuhaben, bis mir auffiel, dass in diesem Toilettenbereich nur sehr wenige frische Aufkleber zu finden waren, was darauf schließen lies, dass diese durch tägliche fleissige Putzkrafthände entfernt werden. Von Tags und Bombs waren auch nur noch Artefakte in den Fugen zwischen den Fliesen zu erkennen. Worauf wollte ich hinaus? 

Ach ja, Aufkleber knaupeln - Porsche, Genscher, Hallo HSV! Weshalb der HSV von jenem Pinkelnden als abknauplungswert betrachtet wird, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es richtig toll gewesen wäre, wenn dieser Fussballverein mal abgestiegen wäre und nächstes Jahr mit Red Bull Leipzig um den Aufstiegsplatz hätte kämpfen müssen und gewonnen hätte. 

Denn was würde passieren wenn Leipzig einen Fussballklub hat, der in der ersten Liga spielt? Noch mehr Menschen? Noch mehr Selbstbewusstsein? Noch mehr Urin und HSV Aufkleber auf deinem Rücken? Diese Fragen stelle ich dir ebenfalls, Master Rising und hoffe auf Erleuchtung.

Mit besten Wünschen, Timm V.

PS.: Ist Red Bull eigentlich brennbar?

Wie ich beinahe angepinkelt wurde und mir ein HSV-Aufkleber auf den Rücken geklebt wurde

Letzten Samstag war ich in Leipzig zum Konzert von Sleaford Mods aus Nottingham, weil mein Hallenser Buddy Timm V. gesagt hatte, dass ich dahin muss. Weil nämlich Sleaford Mods der neue heiße Scheiß vom letzten Jahr sind und die verpennten Leipziger jetzt mal beweisen sollen, ob sie wirklich cool sind. Für mich als nicht ganz so coolen Ureinwohner war das Konzert-setting gewöhnungsbedürftig. Auf der leeren Bühne waren drei leere Kästen Pilsner Urquell übereinander gestapelt. Auf denen stand ein aufgeklappter Laptop. Hinter dem Laptop stand ein wippender Mann mit einer Flasche Ur Krostitzer, die er sich vor seinen grauen Joggighosen-Schritt hielt. In einem älteren you tube Video steht der Laptop auf drei übereinander gestapelten Clausthaler Alkoholfrei Kästen. Der wippende Mann unterbrach das Wippen immer am Ende eines Songs, um einen Knopf am Laptop zu drücken, damit die Beats vom nächsten Song anfangen konnten. Dann trat er einen Schritt zurück und wippte weiter im Rhythmus der sehr rhythmischen Beats. Manchmal sang er auch mit. Der andere Mann sang auch mit, aber über ein Mikrophon. Und er schimpfte auch ganz schön, er rappte und schimpfte. Ich liebe ja diesen englischen Slang, der so gar nicht nach meinem Englisch-Unterricht klingt und auch gar nicht durch die Nase kommt. Manchmal habe ich auch ein paar Worte verstanden, insgesamt irgendwas mit "fuckin`", Alice im Wunderland und der Bibel. Timm V. meinte, es ginge auch viel um soziale Probleme, vor allem die der Unterschicht. Nach dreieinhalb Songs hatten der wippende und der schimpfende Mann mich eingefangen und ich musste mit wippen, Gern hätte ich auch richtig getanzt. Dafür war es aber zu voll.
Als das Konzert zu Ende war, musste ich pinkeln. Ich musste mich erst anstellen. Als ich dann ein Urinal für mich hatte, wunderte ich mich über meinen linken Nebenmann. Der hielt seinen Schwanz mit der linken Hand und pinkelte, während er mit der Rechten versuchte, einen Aufkleber von den Fliesen über ihm zu kratzen. Irgendso einen Aufkleber in blau, mit so einer Art Fahne, ein bisschen wie die englische, eben nur in ganz blau und einer Jahreszahl. Ich fragte ihn, was an dem Aufkleber so wichtig sei. Er sagte: "HSV" Ich sagte: "aha". Dann sagte ich ihm noch, dass weiter höher auf dem Putz über den Fliesen noch so ein Aukleber wäre. Er streckte sich und fing an, den auch abzuziehen. Dadurch fing er aber auch an, nicht mehr in das Urinal, sondern auf den oberen Rand zu pinkeln. Ich sagte ihm, er solle aufpassen, dass er sich nicht bepinkele. Er entschuldigte sich, weil er dachte, er würde mich bepinkeln. Dann ging er seiner Wege, nicht ohne mir den zweiten HSV-Aufkleber auf den Rücken zu kleben. Den habe ich dann abgemacht und in meine Tasche gesteckt.

Schon wieder Blut



Schon wieder Blut
Als ich gestern zum Kletterturm fuhr, lief mir Blut aus der Nase. Nach einer Weile dachte ich, ich hätte alles Blut runtergeschluckt und schneuzte mich wie ein echter Radrenn-Fahrer. Und schwupp war mein rechter Unterarm voller Blutspritzer. Na toll, dachte ich mir, und trat nochmal richtig rein ins Fixie.
 Bei der aktuellen Blutgeschichte geht es um Achilles, den Typ mit der besonderen Ferse. Ich las vor ein paar Wochen ein Theaterstück von Heinrich von Kleist; „Penthesilea“. Eine interessante Geschichte zum Thema Paarbildungsstrategien im Wandel der Zeiten. Dabei fällt mir eine Lesung in einem Kulturhaus in der 1990er Jahren  ein. Der Saal war übervoll, ich fand ein Plätzchen zum Sitzen am Rande der Bühne. Und schlief nach den ersten Worten der Lesung sofort ein. Als ich aufwachte, musste ich pinkeln. Ich lag am linken Rand der Bühne, und genauso wie den Vortragenden schaute das mehrhundertköpfige Auditorium auch mich an. Ich dachte mir, schnell aufs Klo, und, das Weinglas dort, das muß stehen bleiben. Und schwupps, war ich in meiner Schlaftrunkenheit auch schon über das Glas gestolpert. Ich bin nach dem Pinkeln nicht wieder zurück in den Saal und habe somit auch nie etwas über die „sechs Paarbildungsstrategien nach Siegmund Freud“ erfahren.
Bei Pethesilea (P) und Achilles (A) gab es nur eine Paarbildungsstrategie, nämlich DRAUFHAUEN. Am Beginn des Stückes hauen sich Griechen und Trojaner gegenseitig auf die Omme, dass es nur so kracht. Auf einmal kommen die gesammelten Amazonen angerauscht und hauen sowohl den Griechen als auch den Trojanern gleichermaßen auf die o.g. Ommen. Was bleibt da übrig, als unter Gründung einer zeitweiligen Zweckgemeinschaft zu versuchen, soviel geballter militanter Weiblichkeit zu widerstehen. Mann überlebt grade so und wundert sich, besonders über den Wahn der Amazonenkönigin P, ausgerechnet den unbesiegbaren Held aller Helden A zu besiegen. Dem gelingt es, P zu verwunden. Sie wird in ihr Hauptquartier gebracht, A setzt nach, wahrscheinlich schon verliebt. Dort wird ihm erzählt, dass Amazonen mit Männern nicht viel am Hut haben. Das weiß er schon. Manchmal brauchen Amazonen aber auch Männer, wegen der Fortpflanzung. Konnte sich A auch denken. Was er nicht weiß, ist, dass die Götter/ Priester ihn P zu diesem Behufe zuwiesen. Und das sie, wie jede ordentliche Amazone, sich den Vater ihrer ungeborenen Kinder selbst im Kampf fangen muß. Es gibt jetzt noch ein paar verliebte Blicke, kurzes Herumgestreite, „gehen wir auf deine oder meine Burg?“. Dann tauchen ein paar Amazonen-special-forces auf und A muß abhauen. Wieder zu Hause in seinem Hauptquartier ist er immer noch verliebt und nörgelt herum, dass dieser blöder Trojanische Krieg ja auch mal ein oder zwei Monate warten könne. Er wolle nur mal eben auf Ps Burg und habe auch schon einen Plan. Er wolle sich zu einem Zweikampf stellen, so tun, als ob er verlöre und schon dürfe er ins königliche Bettchen. Gesagt getan. Am nächsten Tag lungert A voller Vorfreude im Wald herum, P kommt schwer bewaffnet mit Gefolge und Hunden angerauscht und…erschießt A. Einfach so, durch den Hals. Der aufmerksame Leser wird jetzt sagen: „Ein Hals ist keine Ferse.“ Stimmt, und Kleist ist nicht Homer. A ist trotzdem tot. P fällt erst Mal mädchenhaft in Ohnmacht. Nach dem Aufwachen ist sie so erbittert über den Tod des Geliebten, dass sie einfach so stirbt. Nach dem P tot ist, stellt ihre Schwester noch freundlicherweise fest, das „sie sank, weil sie (Penthesilea) zu stolz und kräftig blühte.“ Was ich beinahe vergessen hätte, ist, dass P den fassungslos sterbenden A noch in die Brust biss und sein Blut trank. Ich habe doch nochmal über Paarbildungsstrategien recherchiert, das mit dem auf-die-Omme-hauen und dem vielen Blut brauchst es nicht mehr. Es gibt inzwischen jede Menge angeschmuddelte Kneipen mit schwerhörigen Kellnern, in denen man sich in aller Ruhe gegenseitig ins Bett brüllen kann. Und bluten muß auch keiner mehr, nur sein Bier gleich bezahlen. Prost und Waidmannsheil wünscht GAPD